Annika Schleu war sich keiner Tierquälerei bewusst, als sie beim Fünfkampf//Olympia auf Saint Boy einprügelte, an den Zügeln riss, dem Pferd die Sporen in die Seite rammte. Und genau da liegt das Problem.
PFERDE IN FREIHEIT
Pferde würden in freier Wildbahn niemals Hindernisse in der gegebenen Höhe überwinden. Pferde meiden das. Und weil das so ist, wird im Spring“sport“ einiges an Hilfsmitteln benutzt. Es wird gebarrt (Eisen- oder Holzstangen werden den Pferden auf die empfindlichen Vorderbeine geprügelt, damit sie höher springen), Stacheldraht wird um die Hindernisse gebunden, die Pferde werden mit schmerzhaften Salben eingerieben und – wir waren quasi live dabei – sie werden schlicht und ergreifend über die Hindernisse geprügelt. Für Pferde ist das angsteinflößend und widernatürlich. Sie sind scheue Fluchttiere, brauchen Zeit, Vertrauen zu fassen, meiden laute, lärmige Orte, wenn sie denn können, benötigen dringend eine Herde, sind niemals gern allein, sind ruhig nur unter Artgenossen.
All das wird ihnen für einen Leistungssport genommen, der vor allem den menschlichen Akteuren dient. Das Pferd ist hier sogenanntes Nutztier und wir nehmen seine Qual billigend in Kauf, um unterhalten zu werden und Höchstleistung zu bewundern. Natürlich geht es am Ende vom Lied immer um Kohle.
Jetzt ist etwas sichtbar geworden, was normalerweise im Unsichtbaren abläuft. Eine „Trainerin“, Kim Raisner, die der jungen Reiterin rät, „richtig drauf zu hauen“, ganz normaler Alltag wird das in jedem Training ohne Kameras sein.
Es ist richtig und falsch, Schleu dafür in die Verantwortung zu ziehen. Richtig, weil ihr Umgang mit Tieren strafrechtliche Konsequenzen haben muss und weil eine Person wie sie wahrscheinlich keinen Umgang mehr mit Pferden haben sollte.
HEXENJAGD
Falsch, weil wir es uns zur Gewohnheit gemacht haben, gleich einer Hexenjagd auf einzelne Menschen loszugehen, selbstverständlich online, und das wirklich Tragische daran ist, dass wir dann meinen, wir hätten etwas Sinnvolles und Wichtiges getan, und Gerechtigkeit zöge nun wieder ein.
Schleu ist die Spitze vom Eisberg. Mit Raisner gelangen wir schon etwas tiefer. Insgesamt geht es um ein System, das von Gewalt und Unterdrückung von der konsequentesten Form der Ignoranz jeglicher Tierrechte ausgeht. Ein System der Hochleistung. Ein System, in dem wir die Tiere noch härter ausbluten können als die Menschen, in dem wir alles von ihnen nehmen, um von ihnen bestmöglich unterhalten zu werden. Was wir brauchen, ist ein gesamtes Umdenken im Leistungssport und das Wagnis, die Perspektive der Tiere einzunehmen. #tieresind #tierefühlen #tieredenken #tiereleiden ergo #tierehabenrechte #animalrights
Und sonst so, für das Pferd? Turnierpferde sind häufig so kostspielig gehandelt, dass man ihnen aus Angst vor Verletzungen all das nimmt, was ihnen Freude macht: Kontakt zu Artgenossen, Weidegang, Spiel, Freiheit. Wenn das Tier nach wenigen Jahren ausgedient hat und die Höchstleistungen nicht mehr aus ihm herauszupressen sind, ist es nutzlos geworden und wird, oft auf langen Tiertransporten über elend weite Strecken zum Schlachter gebracht. Wenn es großes Glück hat, ist es in seinem letzten Moment betäubt.
CARLOS UND ICH
Wir hatten mal ein Pferd. Ein ausgedientes Schulpferd, auf dem ich reiten gelernt hatte, 16 Jahre alt, brachte nicht mehr die ganze Leistung, da sollte es zum Schlachter, meinte der Besitzer damals. Da haben wir gesagt, nein, dann gehört er zu uns. Da war ich jung, Teenager, Reitermädchen eben. Er ist 30 Jahre alt geworden. Ich weiß, dass er mein Leben glücklich gemacht hat. Und umso älter ich werde, umso mehr frage ich mich, ob ich auch seines glücklich machte. Damals hatten die Pferde in unserem Stall Weidegang, aber über lange Winter auch nicht. Da waren die Weiden gesperrt. Heute weiß ich: das Alleinsein, der Entzug von Freiheit, das hätte ich nicht tun dürfen. Vieles, was damals so selbstverständlich schien, ist heute zurecht in Frage gestellt.
Einmal, da war ich so zwölf, dreizehn Jahre, da wollte ich auch an einem Springturnier teilnehmen. Wir flochten meinem Pferd die störrischen, wilden Haare zu braven Zöpfen. Er sah mich von der Seite an, als fragte er sich, was das nun soll.
Im Parcours dann ist mein guter, eigenwilliger, freiheitsliebender Carlos drei Mal vor dem ersten Hindernis stehen geblieben. Das wars. Dann sind wir heimgefahren auf seine Weide und haben den Firlefanz gelassen. Gut so.
Umso älter Carlos wurde, umso mehr Spaziergänge haben wir gemacht, bei denen er so viel Löwenzahn essen konnte wie er wollte. Als ein Familienmitglied damals sehr krank wurde, haben wir alle bemerkt, dass wir es ohne die Spaziergänge mit dem guten, alten, treuen Carlos kaum geschafft hätten, seelisch einfach. So viel Frieden und Zuversicht hat er geschenkt. Und ich hoffe, ich habe ihm etwas zurück geschenkt. Es hätte mehr sein sollen, das weiß ich heute.
Ich weiß, wie Pferde ticken. Lasst sie in Frieden. Lasst sie frei, scheu, widerspenstig sein. Bewundert sie von weitem. #animalliberation
